Erweiterter Oeschbergschnitt nach Helmut Palmer

Facharbeit der Uni Kassel

Helmut Palmer lernte diese spezielle Form der Kronenerziehung auf einer Reise in der Schweiz kennen. Er erweiterte den Oeschbergschnitt im Laufe seines Lebens und lehrte ihn unter Anderem in seiner Heimat Baden-Württemberg.
„Obstbaumschnitt ist wie die Politik:

Der Oeschbergschnitt weist als Lehrmethode einige Vorteile gegenüber den üblichen Lehrbüchern auf, findet aber in Deutschland trotz Palmers Bemühungen bisher wenig Beachtung.

Die folgende Darstellung gliedert sich in drei Teile. Während im ersten Teil der Oeschbergschnitt vorgestellt wird findet im zweiten Teil ein Vergleich zwischen einzelnen Inhalten des Oeschbergschnitts und gängigen Lehrbuchinhalten statt. Abschließend soll auf die historische Entwicklung des Obstbaus und Obstbaumschnitts eingegangen werden, mit dem Ziel, die Bedeutung des Oeschbergschnittes heute zu umreißen.
VielDer Oeschbergschnitt wurde 1930 von Hans Spreng in der Schweiz für den Ertragsobstbau entwickelt. Eine Rationalisierung der Schnittmaßnahmen steht im Mittelpunkt. Das Schnittsystem richtet sich nach den in Bäumen herrschenden Wachstumsgesetzen, die von Palmer zusammengefasst lauten:

Was steil steht wächst am besten.
Was flach steht trägt am besten Obst.
Was unter die Waagerechte kommt stirbt langsam ab.

Demnach wird eine funktionale Trennung von steil stehendem Gerüst und flach wachsendem Fruchtholz vorgenommen. Diese Trennung ermöglicht einen hohen Grad an Systematisierung der Maßnahmen zur Kronenerziehung, was den Oeschbergschnitt zu einer leicht erlernbaren Methode macht.
Warum schneiden?
Ein ungeschnittener Obstbaum verlagert mit zunehmendem Alter seine Früchte in die Außenbereiche der Krone. Bevorzugt an der Oberseite, wo das meiste Licht hinfällt, wachsen die schönsten Früchte. Die Ernte wird somit aufwändig und halsbrecherisch.
Gleichzeitig ist bei ungeschnittenen Obstbäumen häufig zu beobachten, dass die oberen Bereiche so dicht sind, dass sie die Unteren beschatten. Das Kroneninnere verkahlt dann.
Am besten trägt erfahrungsgemäß junges Holz. Durch regelmäßiges Entfernen von altem, abgetragenem Holz wird die Bildung von jungem Holz gefördert.

Ein weiterer wesentlicher Grund ist die Ertragssicherung. Unbeschnittene Bäume mit viel Fruchtholz neigen zu zyklischen Ertragsschwankungen. Da sie in einem Jahr eine übermäßige Ernte bringen, fällt der Ertrag im folgenden Jahr schwach aus. Außerdem vereinfacht eine lichte und strukturierte Krone nicht nur die Ernte, sondern auch maßgeblich die Pflege der

Bäume
Am Beispiel einer ausgewachsenen Birne kann man deutlich die zuvor aufgeführten Probleme von ungeschnittenen Obstbäumen erkennen:
-schlechte Erntemöglichkeiten da sehr hoch
-obere Bereiche bedecken die unteren
-oben befindet sich das jüngste und daher meisttragende Holz

Kronenform
Gebildet wird die Krone von dem Gerüst, bestehend aus vier Leitästen, der Mitte als Stammverlängerung und den Fruchtästen. Das Fruchtholz, an dem das Obst wächst, wird später noch behandelt.

Die angestrebte Kronenform ist die eines Kelches. Während die Leitäste den Kelchrand bilden, füllt die Mitte sein Inneres aus. Die Fruchtäste sitzen auf der Außenseite der Leitäste und erweitern den Kelchrand mit weit ausladenden Balkonen.

Gerüst
Die Mitte füllt den Innenraum der Kelchkrone locker aus. Nach außen ist sie durch die Leitäste begrenzt. Damit sie diese nicht überschattet, verjüngt sie sich nach oben hin. Sie setzt also im unteren Bereich am meisten Fruchtholz an. Zu steil stehendes Fruchtholz entwickelt
sich hingegen schnell als Konkurrenz zum Mitteltrieb, was zu vermeiden ist. Als Stammverlängerung ist Mitte in der Regel besser versorgt und damit etwas höher als die Leitäste.
Die vier Leitäste sind gleichmäßig um den Baum gestreut. Ihr Ansatzwinkel am Stamm sollte möglichst stumpf sein, da spitzwinklig ansetzende Äste leicht ausbrechen. In ihrem Verlauf sollten sie zunehmend steil aufragen. Insgesamt nehmen sie einem Winkel von mindestens 45° ein. Fruchtäste und Fruchtholz finden sich nur auf der Außenseite der Leitäste. Die Leitäste sollten also auf der Innenseite kein Holz aufweisen. Wenn die Leitäste alle auf gleicher Höhe am Stamm ansetzen, kann es an dieser Stelle zum Saftstau kommen. Eine Streuung der Leitäste ist also sinnvoll.
Helmut Palmer legte besonderen Wert auf steil stehende Leitäste. Bei flacher stehenden Leitästen bilden sich so genannte Wasserschosser, die dann das Kroneninnere verbauen. Auf diese Problematik wird später noch näher eingegangen. Hinzu kommt, dass bei steilen Leitästen der Austrieb eher auf der Außenseite stattfindet als bei flach stehenden Leitästen.
Die Fruchtäste setzen auf der Außenseite der Leitäste im Abstand von etwa einem Meter an. Sie erweitern den Kronenkelch nach außen. Sie sind den Leitästen untergeordnet und dürfen diese nicht an Höhe überragen. Auch bei ihnen ist es aber wichtig, dass sie nicht zu flach stehen. Sie setzen möglichst stumpfwinklig am Leitast an, folgen der nach außen weisenden Wuchsrichtung der Leitäste und richten sich dann zunehmend steil auf. Wie bei den Leitästen soll ihre Innenseite frei von Holz sein.
Seitenäste, die von den Leitästen aus nach links und rechts abzweigen, sind nicht vorgesehen. Da ein Leitast mit seinen Fruchtästen etwa in die gleiche Richtung wächst, bilden sich zwischen den Leitästen Eingänge zum Anleitern.

Das Fruchtbogensystem
Bei ungeschnittenen Obstbäumen kommen flach stehende Leitäste nicht vor, denn hier läuft das Wachstum nach dem Fruchtbogensystem ab. Ein junger Trieb wächst zunächst steil in die Höhe. An Seitentrieben setzt er irgendwann Früchte an, durch deren Gewicht er langsam nach unten gezogen wird. Mit zunehmendem Alter sinkt der Trieb weiter ab, wobei er zunehmend schlechter versorgt wird. Diese Unterversorgung führt zunächst zu weiterem Fruchtansatz. An seinem Scheitelpunkt bildet sich bei guter Belichtung dann aber ein neuer Trieb, welcher den gleichen Prozess durchläuft und den alten Fruchtbogen überlagert. Während die absteigenden Bögen so lange Früchte produzieren bis sie absterben, entwickeln sich die aufsteigenden Bereiche bei günstiger Lage zu Ästen, indem ihr Dickenwachstum zunimmt. In einem unbeschnittenen Baum findet also eine zeitliche Trennung von Fruchtbildung und Statik statt.

Fruchtholz
In der Oeschbergkrone nimmt man hingegen eine räumliche Trennung von Fruchtbildung und Statik vor. Die Gerüstäste, also Mitteltrieb, Leitäste und Fruchtäste, werden jährlich an ihren Spitzten angeschnitten, wodurch eine Fruchtbildung hier unterbleibt. Ihre nach außen weisenden Triebe bleiben unbeschnitten und so kann hier das Fruchtbogensystem wirken. Der Begriff Fruchtholz ist also eine Sammelbezeichnung für alles Holz am Baum, was nicht beschnitten wird.
Die Früchte, welche sich an den Blütenknospen des Fruchtholzes bilden, sind in ihrer Qualität abhängig vom Licht. In schlecht belichteten Bereichen kommt es zur Ausbildung von so genantem Schattenobst, welches an Qualität minderwertig ist. Hier wird deutlich, wie wichtig ein lichtdurchlässiger Kronenaufbau ist. Eingriffe im Fruchtholz sind nur nötig, wenn es zu dicht steht oder abgetragen ist. In beiden Fällen werden die untersten der absteigenden Bögen entfernt.

Das Umkehraugverfahren
Das Umkehraugverfahren stellt gewissermaßen das Kernstück des Oeschbergschnitts dar. Durch diese Technik gelingt es die Wuchsrichtung von Leit- und Fruchtästen gezielt zu lenken.
Jährlich wird die Astspitze durch Anschnitt zum Austrieb gebracht. Über die Richtung des Austriebs lässt sich die zukünftige Wuchsrichtung des Austriebs beeinflussen. In konventionellen Lehrbüchern wird dieser Überlegung Rechnung getragen, indem auf ein nach außen weisendes Auge geschnitten wird. Die Hoffnung, der Trieb wächst dann ebenfalls nach außen, erfüllt sich aber in der Regel nicht, weil sich die Triebspitze in ihrer Wuchsrichtung nach dem Licht richtet.
Die Leit- oder Fruchtastspitze wird deswegen im Oeschbergschnitt auf ein nach innen weisendes Auge angeschnitten. Die eigentliche Aufmerksamkeit gilt aber dem darunter liegenden Auge, welches nach außen weist. Alle anderen unerwünschten Augen, die nicht in die gewünschte Richtung weisen, werden ausgebrochen. Somit werden alle unerwünschten, potentiellen Äste, die im nächsten Jahr gebildet würden, an ihrem Entstehen gehindert. Austreiben kann der Baum jetzt nur noch in die gewünschte Richtung. Im folgenden Jahr wird dann der nach innen weisende Trieb und der Stummel der alten Leitastspitze entfernt. Der nach außen weisende Trieb, der aus dem Umkehrauge hervorgeht, ist nun die neue Astspitze.
Im unteren Bereich der Leitäste ist eher ein flaches Wachstum gewünscht, wogegen sie, wie schon erwähnt, im hinteren Bereich steil aufragen. Ein nach außen weisender Trieb als Astverlängerung kann hier ungeeignet sein. Der Anschnitt auf ein nach innen weisendes Auge ist aber immer sinnvoll. Denn steht ein Trieb zu flach, kann auch der nach innen weisend Trieb des Umkehrauges als neue Astspitze angeschnitten werden. Wächst aber der Trieb des nach innen weisenden Auges wie üblich auch ins Bauminnere, wird er entfernt. Die neuen Astspitzen werden dann wieder auf das Umkehrauge geschnitten, durch welche die Wuchsrichtung des nächsten Jahres vorgegeben wird.

Abbinden
Im Gegensatz zum Umkehraugverfahren wird das Abbinden auch in konventionellen Lehrbüchern vorgestellt, findet hier aber eine andere Verwendung. Da die Knospen eines Triebes bei einer Stellung unter der Waagerechten zum Blühen gebracht werden statt auszutreiben, kann man so einzelne Triebe vorzeitig zum Fruchten bringen. Im Obstbau ist es eine gebräuchliche Technik bei einem jungen Baum auch zukünftige Leitäste abzubinden, um frühzeitig einen Ertrag zu erzielen. Helmut Palmer kritisiert dieses frühe Abbinden, da so später stützende Maßnahmen nötig werden
Das Abbinden wird im Oeschbergschnitt genutzt, um gezielt Triebe dort umzustellen, wo ein weiterer Gerüstaufbau unerwünscht ist. Auf dem Foto ist ein Trieb sichtbar, der direkt an dem Mitteltrieb ansetzt und durch sein gerades Wachstum bald eine zweite Spitze bilden würde. In diesem Fall kann man den Trieb durch Abbinden in die Waagerechte auf Fruchtholz umstellen. Durch Knospenausbrechen im aufsteigenden Bereich dieses künstlichen Fruchtbogens wird der Trieb daran gehindert erneut stark auszutreiben. Der Austrieb im abwärts liegenden Bereich erfolgt schwächer und zieht den Trieb durch sein Gewicht weiter nach unten. Zum Abbinden bieten sich Weiden als Material an, da sie im Gegensatz zu Draht oder Schnur nicht einschneiden und deshalb, sollten sie nicht entfernt werden, keine so großen Schäden anrichten.
Beispiel der Kronenerziehung
Die Kronenerziehung im engeren Sinne beschränkt sich auf das Gerüstholz, da das Fruchtholz im Normalfall nicht durch Anschnitt erzogen wird.
Auf dem Foto ist ein junger Apfelbaum zu sehen. Deutlich zu erkennen sind die Leitäste links und rechts des Stammes. Die anderen beiden sind auf dem Foto schlecht zu sehen. Behandeln wir also die besser sichtbaren:
An den Leitäste sieht man die nach außen weisenden Fruchtäste. Die hier abgebildeten Leitäste weisen einige Triebe auf der Innenseite auf, welche sich zu Konkurrenztrieben entwickeln können. Um in den Folgejahren eine lichte Krone und eine klare Zuteilung der Baumpartien zu gewährleisten, werden sie ausgeschnitten.
An dem selben Baum sieht man die nach dem Schneiden freien Innenseiten der Leitäste, die angeschnittenen Spitzen von Leitästen, Fruchtästen und der Mitte. Der gesamte Innenbereich wurde ausgelichtet.
Vergleich des Oeschbergschnitts mit gängigen Lehrmeinungen

Im Folgenden soll die Kritik Palmers an gängigen Lehrmeinungen im Obstbaumschnitt dargestellt werden. Um wesentliche Unterschiede im Vorgehen der beiden Lehrmethoden hervorzuheben, werden zwei konkrete Problemstellungen behandelt. Hierbei soll versucht werden, über die jeweiligen Lösungsansätze noch einmal das unterschiedliche Verständnis, welches den Schnittmethoden zugrunde liegt, hervorzuheben. Neben den Inhalten der Lehre sollen auch Unterschiede in der Systematik angesprochen werden.

Problemstellung Höhenbegrenzung und Gleichgewicht
Unter Gleichgewicht wird hier eine gleichmäßige Ausprägung der einzelnen Kronenpartien verstanden. Überwiegt eine Partie an Höhe, wächst sie den anderen davon und überschattet sie. Betrachtet man diese Probleme stellt man fest, dass sie eng miteinander verbunden sind. Die Höhenbegrenzung ist ein Problem, dem sich der Obstbau aus pflege- und erntetechnischen Gründen annimmt. Unbeschnitten setzt sich der stärkste Trieb meist durch, dominiert den Baum und das Obst befindet sich im oberen Bereich.
Schauen wir uns zunächst die gängige Lehrbuchmeinung an. Hier wird empfohlen, zu stark wachsende Partien auf flacher stehende Nebenäste abzuleiten. Dieses tut man mit dem Gedanken, der flache Trieb bremst das Wachstum. In der Regel hat dies die unerwünschte Folge, dass aus der nun flach stehenden, neuen Astspitze so genannte „Wasserschosser“ austreiben. Werden sie nicht entfernt überschatten sie die darunter liegenden Partien und es kommt zu der von Palmer oft angeprangerten „Besenwirtschaft“. Entfernt man sie aber, schneidet man regelmäßig zum Teil bedeutende Mengen der jungen, best tragenden Triebe weg.
Das Gleichgewicht der Krone stellt sich im Oeschbergschnitt als die in etwa gleichmäßige Entwicklung von Leitästen und der Mitte dar. Es wird durch den jährlichen Anschnitt bewahrt oder kann auch wiederhergestellt werden. Die Methode ist denkbar einfach: „Man nehme die starken Partien jedes Jahr etwas stärker zurück, denn weniger Blattmasse bringt weniger Trieb. Und man belasse die schwachen Partien wesentlich länger, denn mehr Laub bringt mehr Holzmasse“
Wasserschosser
Helmut Palmer kritisiert die Bezeichnung Wasserschosser und nennt sie anstatt dessen Alarmtriebe. Seiner Meinung nach entstehen sie nur nach unsachgemäßer Handhabung. Wenn dem Ast oder dem Baum seine Spitze genommen wird, ohne dass ein ausreichend steil stehender Ersatz vorhanden ist, ersetzt sie der Baum vielfach. Dieses tut der Baum um seinem Bedürfnis nach einem geraden Wege zum Licht nachzukommen. Alarmtriebe entwickeln sich bei sehr flach stehenden Leitästen oder auch bei abgebundenen Jungtrieben.

Saftwaage
In den Lehrbüchern taucht häufig der Begriff Saftwaage auf, mit dessen Hilfe das Gleichgewicht in der Krone aufrechterhalten werden soll. Empfohlen wird die Krone auf Höhe der schwächsten Leitastpartie einzukürzen. Dieses geschieht im hundertzwanzig Grad Winkel, wobei die Mitte den höchsten Punkt einnimmt. Dieser spezielle Winkel garantiere, dass die Säfte, welche die Gerüstpartien versorgen, nun gleichmäßig verteilt wird.
Helmut Palmer kritisiert diesen Begriff als unhaltbar und führt dazu verschiedene Gründe auf: Richtet man sich beim Einkürzen nach dem schwächsten Ast muss immer das am besten versorgte, wertvollste Holz entfernt werden.

Dieses führt aber noch immer nicht zu dem gewünschten Ergebnis einer ausgeglichenen Krone. Denn neben der Höhe gibt es noch andere Eigenschaften, welche auf den Saftfluss einwirken. Ein gut mit Fruchtholz garnierter Leitast wird trotz gleicher Höhe stärker austreiben als ein schwach verzweigter, gleich hoher Ast. Auch die Mitte, welche aufgrund ihrer steilen Stellung immer besser versorgt wird als die Leitäste, wird trotz gleicher Höhe stärker austreiben. Kombiniert mit dem Ableiten bewirkt das Abwerfen nach Saftwaage häufig, dass sich die Mitte zu einem Sonnenschirm für den Rest des Baumes entwickelt.

Systematik
Ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Lehrbuchschnitt und dem Oeschbergschnitt, wie er von Helmut Palmer gelehrt wurde, liegt in der Systematik, in der Art und Weise, wie Zuordnungen getroffen werden. Jede Baumschnittlehre nimmt sich dem grundlegendem Problem an, seine Materie sinnvoll, in zentralen Begriffen zu ordnen, um sie vermitteln zu können. Dem Oeschbergschnitt gelingt dieses durch den klaren, genau festgelegten Kronenaufbau und der funktionalen Zuteilung in der Krone von Gerüst und Fruchtholz. Die grundlegend unterschiedliche Behandlung beider Funktionsbereiche steht im Mittelpunkt.
Auch in den Lehrbüchern finden die zentralen Begriffe des Oeschbergschnitts, wie Fruchtholz und Gerüst, Verwendung. Sie werden aber in der Regel nicht so klar von einander abgegrenzt oder definiert. Die Lehrbücher verfolgen anstatt dessen den Ansatz, nach verschiedenen Schnittarten zu systematisieren. Unterschieden wird relativ einheitlich nach Erziehungsschnitt und/oder Pflanzschnitt, Erhaltungs- oder Instandhaltungsschnitt und dem Erneuerungsschnitt oder Verjüngungsschnitt.
Ziel dieser Unterteilungen ist es, dem jeweiligen Zustand des Baumes mit einer problemorientierten oder zielgerichteten Schnittanweisung zu begegnen. Der Erziehungsschnitt dient zum Beispiel dem Aufbau des Kronengerüsts. Der Instandhaltungsschnitt zielt hingegen darauf ab, das zu eng stehende Holz auszulichten oder das physiologische Gleichgewicht in der Krone herzustellen. Die Tatsache, dass die Schnittmaßnahmen zeitliche Übereinstimmungen haben, findet nur am Rande Erwähnung. Sie durchbricht in keiner Weise die starre Trennung die hier getroffen wird.
Im Oeschbergschnitt hingegen fehlen diese Unterteilungen. Hier sind sie nicht nötig, da beim jährlichen Anschnitt der Baum so gestaltet wird, dass spezielle, zielbeschränkte Eingriffe vermieden werden können. Die Erziehung gestaltet sich als ein kontinuierlicher Prozess, dessen Ziel es ist, eine lichtdurchlässige Krone zu schaffen.
Entwicklung im Obstbau und Obstbaumschnitt
Um den Oeschbergschnitt historisch einzuordnen ist es hilfreich die Geschichte des Obstbaus zu betrachten. Während schon die Ägypter im 16. vorchristlichen Jahrhundert Obstbau betrieben, ist die Kunst des Veredelns erstmals von den Römern überliefert. Im Mittelalter dient der Obstbau ausschließlich der Selbstversorgung und sein Gelingen ist stark vom Zufall abhängig. Zur Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert erhält die Wissenschaft zunehmend Einzug in den Obstbau und macht hier ihren Einfluss geltend. Neben der Systematisierung finden sich auch erste Veröffentlichungen zum Obstbaumschnitt. Der so genannte Formobstbau dieser Zeit ist von einer kreativen Auseinandersetzung mit dem Baum geprägt. Er fand überwiegend Anwendung in bürgerlichen und herrschaftlichen Gütern und war auf dem Land wenig verbreitet.

Intensivierung
Von der Industrialisierug der Landwirtschaft blieb der Obstbau relativ lange verschont, da hier technische Errungenschaften nur wenig greifen konnten. Eine Rationalisierung gestaltete sich hier schwieriger als in der übrigen Landwirtschaft. Auch aus Transportgründen nahm der Handel mit Obst das gesamte 19. Jahrhundert nur eine untergeordnete Rolle neben der Selbstversorgung ein. Es entwickelte sich eine ausgeprägte Literatur, die neben einer Vermehrung der Sortenvielfalt zunehmend eine fortschrittliche Intensivierung des Obstbaus propagierte. Diese Intensivierung fand aber in der bäuerlichen Gebrauchskultur erst spät Anklang. Erst mit der Subventionierung des Erwerbsobstbaus fing eine systematische Veränderung in diese Richtung an. In der Obstbaumliteratur des beginnenden 20. Jahrhunderts geht es zunehmend darum, den Umgang mit den Bäumen unter rational-wirtschaftlichen Bedingungen zu beschreiben. Erkenntnisse aus dem Formobstbau finden hier Verwendung, wobei der Obstbaumschnitt sich inhaltlich an die neuen Anforderungen anpasst.
Im 20. Jahrhundert wurde der Obstbau weiter intensiviert. Während des Naziregimes wurden diese Bemühungen vorangetrieben mit der Absicht eine Selbstversorgung Deutschlands sicherzustellen. Schwachwüchsige Unterlagen, stammend aus dem Formobstbau, erhielten zu dieser Zeit Einzug in den Erwerbsobstbau. Der Trend verläuft seit dem zu kleiner werdenden Kronen auf immer kürzer werdenden Stämmen.

Bedeutung großkoniger Bäume
Die großkronigen Bäume verlieren im Ertragsobstbau zunehmend ihre Bedeutung. Gründe hierfür sind, neben erhöhten Anforderung an die Kronengestaltung und der damit verbundene Zeitaufwand, ihr verhältnismäßig spät einsetzender Ertrag. Die Intensivierung und die damit einhergehende erzeugte Trennung von erwerbs- und subsistenzwirtschaftlicher Ausrichtung im Obstbau wurden nach dem Krieg erheblich durch die Flurbereinigung vorangetrieben.
Heute hingegen erkennt man den ökologischen Wert extensiver Streuobstwiesen. Durch den Agrarstrukturwandel konzentriert sich die Landwirtschaft auf produktive Standorte. In dem Maße, wie die kleinbäuerlich geprägte Kulturlandschaft zu verschwinden droht, wächst ein Bewusstsein für den Wert dieser Kulturlandschaft. Den großkronigen Obstbäumen wird heute als ein wichtiger Bestandteil der Kulturlandschaft wieder mehr Wert beigemessen. Von staatlicher Seite wurde die Planung von Streuobstwiesen lange gefördert, Aspekte wie die Pflege oder Nutzungsmöglichkeiten der Früchte bleiben hier aber unberücksichtigt.
Eine weitere Entwicklung, welche die Bedeutung der extensiven Nutzung von Obstbäumen hervorhebt, ist die zunehmende Annerkennung des landeskulturellen Wertes der Sortenvielfalt und der Erhalt robuster Lokalsorten.

Entwicklung des Obsbaumschnitts vergleichend
Während sich der Oeschbergschnitt in der Schweiz als eine weittestmöglich effiziente Nutzung von großkronigen Obstbäumen entwickelte und etablierte gingen die Lehrmeinungen hier andere Wege. Zum einen standen im Mittelpunkt der Baumschnittlehrbücher Spindel- und Zwergformen. Großkronige Bäume wurden zunehmend als Auslaufmodell behandelt. Ein anderer Trend, der sich diesem Auslaufmodell widmete verstand sich als so genannter natürlicher Obstbau. Der Rationalitätsgedanke führte hier zu einem minimalen Aufwand an kronengestaltenden Maßnahmen, welcher die beschriebenen Probleme unbeschnittener Obstbäume mit sich bringt.
Hinzu kam hierzulande eine weitere Erscheinung, welche die Pflege der extensiv genutzten Obstbäume erschwerte. Überspitzt gesagt entwickelte sich hier sehr detailreiches, für Laien schlecht durchschaubares Fachwissen. Nicht wenige Lehrbücher füllen zum Beispiel einen erheblichen Anteil ihrer Seiten mit der Beschreibung von sortenspezifischen Schnitten. Der Oeschbergschnitt hingegen kann nach Palmer auf alle Obstbäume erfolgreich angewendet werden (Ausnahme sind die Nussbäume).

Fazit
Der Oeschbergschnitt ist eine Schnittmethode, die sich heute besonders für die Pflege extensiv genutzter, großkroniger Bäume bewährt macht. Hier zeigt sie sich als ein unübertroffenes Ergebnis von menschlichem Einfühlungsvermögen verbunden mit einer klaren Geist. Sie ist in jeder Hinsicht eine Möglichkeit, die zunehmend vom Markt ausgeschlossenen Zeugen einer Jahrhunderte alten Kulturlandschaft, vor einem Aufenthalt in den Tiefkühllagern der Genbanken zu bewahren.